Mein ganz eigenes Projekt

Hallo ihr Lieben,

 

mir geht es gut. Lange Zeit habe ich mich hier nicht mehr gemeldet und mittlerweile habe ich Costa Rica und Térraba bereits hinter mir gelassen. Am 21. Juni bin ich wieder zu Hause in der Heimat angekommen. Dies ist somit mein letzter abschließender Blogeintrag auf dieser Seite, in dem ich euch davon erzählen möchte, wie ich meinen Freiwilligendienst in Térraba mit gutem Gewissen beenden konnte.


Zeit der Ideenfindung

Als ich mich auf meinen Freiwilligendienst in Costa Rica eingelassen habe, hatte ich noch keine klare Idee davon, was ich dort überhaupt machen würden. Alles war sehr offen und vage. Und genauso fand ich mein „Projekt“ in Térraba auch vor, als ich dort im September vergangenen Jahres ankam. Ich war darauf eingestellt, mich erst einmal einzuleben und Spanisch zu lernen. Genau das tat ich also auch. Nach ein bis zwei Monaten hatte ich mich schon ganz gut eingelebt und ich konnte mich so langsam mit den Leuten unterhalten; mein kleines Wörterbuch war zu der Zeit ein stetiger Begleiter von mir. Auch bekam ich eine Vorstellung davon, wie die Situation im Dorf ist.

Von niemandem wurde eine Erwartung an mich herangetragen, was ich machen sollte. Natürlich machte ich mir die ganze Zeit über große Gedanken, was ich denn machen könnte, um die Térraba zu unterstützen. Ich überlegte und überlegte, erstellte sogar Mindmaps und hatte dennoch keine wertvolle Idee finden können! Ich behalf mich also damit, bei Kleinigkeiten mit Hand anzulegen; ich half bei technischen Fragen; ich machte Fotos von Veranstaltungen, um alles für die Térrabas zu dokumentieren. Und wenn sonst eine Bitte an mich herangetragen wurde, war ich eigentlich immer zu Stelle.

Aber den größten Teil der Zeit nutzte ich dafür, neue Dinge zu lernen und die Situation der Térraba zu verstehen. Ich konnte mich im Laufe der Zeit immer besser mit den Leuten unterhalten und bald kannte ich fast das ganze Dorf. So tauchte ich Stück für Stück tiefer und tiefer in das Leben der Térrabas ein. Es war hochinteressant! Besonders die Gespräche mit meinem Gastvater Enrique haben mir immer viel Spaß gemacht. Er ist ein ausgesprochen weiser Mann und hat sehr schöne Ansichten vom Leben und Zusammenleben.

Im Laufe der Zeit kamen mir so einige Idee in den Sinn, wie ich die Dorfgemeinschaft unterstützen hätte können. Leider erwiesen sich diese alle nach ein paar Tagen des Nachdenkens als unbrauchbar bzw. nicht durchführbar :-( Nachdem ich bereits ca. drei Monaten im Dorf lebte, fing ich so langsam an, mich eher nutzlos zu fühlen. Aber ich hörte nicht auf, nach Ideen zu suchen und vom Leben in Térraba zu lernen. Und irgendwann - es war Ende Dezember, kurz vor Weihnachten - kam mir plötzlich eine Idee!


Die Ideenfindung

Ich hatte relativ schnell festgestellt, dass die Kultur der Térraba zunehmend aus dem Leben eben dieser verschwindet. Dies hat viele Gründe. Viele Dorfbewohner beklagen dies und ich beobachtete, dass besonders die Weitergabe ihres Wissens über die eigene Kultur ein großes Problem darstellt. Ein Beispiel: Anstatt den Kindern und Enkeln eine Geschichte zu erzählen oder sie anders zu beschäftigen, werden die Kinder oft einfach vor dem Fernseher abgesetzt. Der Fernseher ist dort wirklich eine Teufelskiste; eines der zerstörerischten Dinge, die in das Dorf kommen konnten, denn die Menschen haben keinerlei Erfahrung mit diesen "neuen" Unterhaltungsmedien und somit hat sich auch noch nie jemand kritisch damit auseinandergesetzt! In der Liste der größten Kulturzerstörer in der Geschichte des Dorfes Térraba würde ich den Fernseher sogar auf den dritten Platz setzen; folgend nach dem Bau der Inter-Americana um 1965 und dem Einzug der Spanier um 1550.

Eines Abends unterhielt ich mich aber mit meinem Gastvater und er erzählte mir eine Legende, die man sich so im Dorf erzählte, und es war so faszinierend für mich, dass ich mehr Geschichten hören wollte und ich bemerkte, dass auch die Kinder - ungewohnter Weise - sehr gespannt zugehört hatten. Und dann kam mir die Frage, ob es diese Legenden auch in irgendeinem Buch zum Nachlesen gibt. Das war leider nicht der Fall, denn seit je her wird das Wissen nur mündlich weitergegeben. Und so kam mir plötzlich eine Idee! Diese Idee habe ich im Laufe der Zeit dann immer weiter angepasst und überarbeitet. Schließlich stand für mich fest, dass das gesamte (noch vorhandene) Wissen der Térraba um die eigene Geschichte und Kultur einmal auf Papier aufgeschrieben werde müsste, um es so für die Zukunft festzuhalten. Es sollte ein kulturelles Schriftstück werden, dass sich mit Hilfe der Gemeinschaft der Térrabas für die Gemeinschaft der Térrabas gestalten würde.


Die Materialsammlung

In der Zeit von Dezember bis März war dann sehr viel los im Dorf und so blieb mir kaum Zeit, mich weiter mit meiner Projektidee zu beschäftigen. Erst im März habe ich also angefangen verschiedenste Leute des Dorfes zu besuchen und auf dieses Projekt anzusprechen. Es wurde durchweg immer sehr positiv aufgenommen. Viele dieser Personen haben mir dann Geschichten aufgeschrieben, die ihnen selbst wichtig sind. Manche haben mehr geschrieben, andere weniger, noch wieder andere konnten nicht schreiben und so habe ich es mit ihnen zusammen aufgeschrieben. Es haben letztendlich insgesamt 16 Personen einen Teil ihres Wissen dazu beigetragen. Auf diese Weise hatte sich mit Hilfe der Gemeinschaft der Térraba mittlerweile ein ganzes kleines Buch gefüllt - knapp über 250 Seiten :-) 

Gleichzeitig habe ich noch ein paar zeichnerisch geschickte Térraba angesprochen, damit sie mir Zeichnungen zu ein paar der Geschichten anfertigen würden. Das funktionierte leider nicht besonders gut - aufgrund ihrer Unzuverlässigkeit - und daher ist die Zahl der Zeichnungen im Buch ziemlich gering geblieben. Ich hatte außerdem noch viele andere Ideen, um das Buch auszuschmücken; leider war die Zeit dafür am Ende zu knapp. Ich habe es aber noch geschafft eine grobe Karte vom Territorium zu erstellen.


Nebengedanke

Ich möchte euch an dieser Stelle auch kurz über meinen täglichen Frust bei der Arbeit erzählen, den es neben den ganzen schönen Erfahrungen natürlich auch gab. Dies hat ein mit der Mentalität vieler Menschen in Térraba zu tun, denn über eine Sache musste ich mich immer wieder und immer wieder ärgern: Die meisten Leute sind einfach nicht zuverlässig! Bzw.: Ein Wort war nicht viel wert! (zumindest nicht nach meinen deutschen Vorstellungen) Es gab natürlich auch Personen die für die lateinamerikanischen Verhältnisse zuverlässig waren. Auf meinen Gastvater konnte ich mich z.B. immer verlassen.

ABER wie viele Male habe ich mit Personen geredet und diejenige Person war in dem Moment wirklich begeistert von meinem Buchprojekt und hat mir von all den tollen Geschichten erzählt, die diese Person ja unbedingt aufschreiben wolle. Die Leute haben mir sogar gesagt, dass sie sich inspiriert fühlten durch meine Idee. Wenn ich dann nach Abmachung nach ein oder zwei Wochen wieder vorbeikam, hatte die Person dann genau gar nichts gemacht und versprach mir aufs Neue bis nächste Woche alles aufzuschreiben. Das zweite Versprechen wurde dann manchmal eingehalten, öfter aber nicht. Aus den Augen, aus dem Sinn. Einige Personen haben mich auch gänzlich enttäuscht mit ihrem Verhalten, denn ich habe vielen der Leute vorher auch schon einen Gefallen getan und immerhin war das Buch nicht für mich, sondern für sie selbst und für ihre Kinder und Kindeskinder gedacht! 

Im Alltag ließen sich diese leeren Versprechen - in diesem Falle „Abmachungen“ - auch fast jeden Tag wieder finden. Am Ende war ich einfach genervt von vielen Leuten und ihren leeren Worten. Es war für mich anfangs einfach unverständlich, wieso manche Leute in meinen Augen die ganze Zeit nur „rumlabern“ und NIE ihr Wort einhielten. Sogar scheinbar gute Bekannte / Freunde ließen mich ab und zu hängen. Ich führte dies meist auf die „Pura Vida“-Mentalität der Costa-Ricaner zurück - was soviel heißt wie „passt schon“, „wird schon irgendwie funktionieren“ oder auch „was du heute kannst besorgen, das verschiebe ruhig auf morgen“ (Mañana-Syndrom).

Zu diesem Thema habe ich vor kurzem ein sehr sehr interessantes Video gesehen und möchte euch dies natürlich nicht vorenthalten! Leider nur auf Englisch verfügbar...



Die Herstellung

Zurück zum Buch: Nun stand ich kurz vor der Fertigstellung und all die gesammelten Geschichten mussten sich nur noch in etwas Handfestes verwandeln. Es war mir schon von Anfang an klar, dass diese Etappe nicht einfach werden würde. Doch meine Befürchtungen wurden noch übertroffen. Die Informationsstruktur in Costa Rica ist schlicht schrecklich! Wenn man irgendeine Information braucht, dann geht der einzige Weg meist über andere Personen. Im Internet kann man generell keine Informationen finden, außer zu touristischen Fragen. Vor Ort ist auch kaum etwas ausgeschildert. Man muss es halt einfach wissen oder sich durchfragen bis man irgendwann weis, was man wissen will.

Genauso gestaltete sich auch der Herstellungsprozess des Buches. Zuerst habe ich mich in der nächstgelegenen kleineren Stadt „Buenos Aires“ herumgefragt, ob es irgendwo einen Ort gibt, wo man Bücher binden lassen könne. Fehlanzeige. Als ich mich dann aufmachte in die wiederum nächst größere Stadt „San Isidro“, wurde schnell klar, dass ich auch hier nicht fündig werden würde. Daher machte ich mich - nach einem netten Abend mit meinen Bekannten und Freunden in San Isidro - direkt am nächsten Morgen auf in die Hauptstadt Costa Ricas „San José“.


San José

1. Tag

Nach meiner Ankunft in San José gegen Mittag, habe ich mich dann gleich auf die Suche in das „Papier-Viertel“ begeben und lief durch alle möglichen Straßen, um die Druckereien und ähnliche Geschäfte abzuklappern. Jeder hatte mich wieder zu einem anderen geschickt und nach gefühlten 30 Geschäften hatte mir noch immer keiner weiterhelfen können, denn ich wollte bei Papier, Drucken und Binden keine Kompromisse in Kauf nehmen. Alles sollte so werden, wie ich es mir vorgestellt hatte. Das Buch sollte am Ende möglichst traditionell und natürlich sein. Außerdem musste der Preis stimmen! 

Von Geschäft zu Geschäft verlor ich immer ein Stückchen der Hoffnung noch etwas zu finden. Ich war wirklich kurz davor zu verzweifeln, doch dann schließlich geriet ich zufällig zu einer etwas versteckten digitalen Druckerei, die ziemlich am Rande des "Papier-Viertels" gelegen war. Diese erschien mir nach einem kurzen Gespräch sehr gut und günstig zu sein. Die Druckmaschinen schienen brandneu und mir wurde ein gutes Angebot gemacht. Sie hatten aber nur normales Papier; daher machte ich mich sofort auf die Suche nach einer Papierhandlung und erkundigte mich nach verschiedenen Papiersorten. Ich erinnere mich noch genau: Das Papier hieß „Kimberly“ und war 120 g/m² schwer, ein hochwertiges Buchpapier. Aus einem großen Papierbögen ließen sich vier DIN A3 Bögen herausschneiden. Es war jedoch schon sehr spät geworden und so beschloss ich an dieser Stelle mit den notwendigen Informationen für heute aufzuhören und am nächsten Tag wiederzukommen.

Ich traf mich aber noch mit einem guten Freund von meinem Gastvater Enrique, der selbst eine Druckerei besaß, jedoch nicht digital drucken konnte, doch viel Ahnung vom Buchmachen hatte. Und so wurde „Mynor“ in den nächsten beiden Tagen zu einer Art Mentor, ohne den ich das Buch sicherlich nicht hätte herstellen können. Auch hatte er natürlich viele Kontakte in dem Viertel, wodurch alles weitere in den nächsten Tagen schnell besorgt und geregelt werden konnte.

2. Tag

Gleich früh am nächsten Morgen machte ich mich auf, um das Papier zu kaufen, dasselbe zuschneiden zu lassen und danach wunderschön bedrucken zu lassen. Es war ein unbeschreibliches Gefühl - nach Monaten des Geschichtensammelns, nach dem mühevollen Aufarbeiten im Computer und der langen Suche des letzten Tages - nun endlich die Worte der Térraba gedruckt auf Papier zu sehen und dies in den eigenen Händen zu bestaunen!

Mit dem bedruckten Papier machte ich mich auf zu Mynor. Dieser gab mir an manchen Stellen Anleitung und stellte mir alles zur Verfügung, um die losen Doppelseiten nun mit Nadel und Faden zu einem Buch zu binden. Ich musste aber leider feststellen, dass meine Buchbinderfähigkeiten noch sehr unausgereift waren und deshalb mussten anschließend ein bisschen Holzleim und Stoff für die notwendige Stabilität des Buchblockes sorgen.

Da es nun auch schon wieder spät wurde und der Leim noch trocknen musste, machte ich mir an dieser Stelle konkretere Gedanken über den Einband meines Buches. Der Einband bestimmt das Erscheinungsbild eines Buches ja maßgeblich mit und daher sollte er gut gewählt sein!

Ich erinnerte mich an einen kolumbianischen Buchbinder, den ich auf meiner Suche am vorherigen Tag besucht hatte. Da ich im gesagt hatte, dass ich ein möglichst traditionelles und natürliches Buch herstellen wolle, hatte er mir zufällig einen dicken Papierbogen aus Bananenfasern gezeigt. Das Material fand ich sehr passend für meinen Einband. Ich ging den Kolumbianer also erneut besuchen und nach einem kurzen Gespräch stellte sich heraus, dass er auch mit Mynor befreundet ist und da mein Buch für eine gute Sache sei, schenkte er mir das Bananenpapier einfach!

3. Tag

Am nächsten Tag machte ich mich wieder früh auf zu Mynors Druckerei, um fortzufahren und schnell fertig zu werden. Aus dem Bananenpapier stellten wir den Einband her. Der gebundene Buchblock wurde noch einmal zugeschnitten und anschließend mit dem Einband verklebt, wobei ein Leseband selbstverständlich nicht fehlen durfte.

Riesig habe ich mich gefreut, das nun fix und fertige Ergebnis von 3 Monaten Arbeit in meinen Händen zu halten. Das Buch fühlt sich dank des Bananenpapieres anders an als alle Bücher, die ich bisher in den Händen gehalten hatte. Das Buch ist ziemlich genau so geworden, wie ich mir das vorgestellt hatte und das war einfach toll! Es ist ein ganz besonderes Buch mit einem ganz besonderem Inhalt geworden und ich war überglücklich!

Ich habe mich tausendmal bei Mynor bedankt und bin noch mittags wieder nach Hause nach Térraba gefahren. Das Buch habe ich dort feierlich der Bibliothek von Térraba gestiftet, welche von meinem Gastvater Enrique verwaltet wird. Auf diese Weise hat jede Person des Dorfes ohne Probleme Zugang zum Buch.

 

 

Die Finanzierung

Ich hatte vorher ein wenig Angst vor den Kosten, die auf mich zukommen würden, denn die Leute in Térraba haben kein Geld und so war ich zunächst einmal auf mich selbst gestellt. Die Herstellungskosten des Buches schätzte ich auf ca. 50 bis 100 US-Dollar (Papier, Drucken, Binden, Einband, Transport, Unterkunft). Deshalb machte ich mich andersweitig auf die Suche nach finanziellen Unterstützern. Zum Glück fand meine Idee einen Unterstützer und so hat mich das Herstellen des Buches letztendlich quasi nichts gekostet, außer meiner Arbeit natürlich :-) An dieser Stelle noch einmal vielen Dank, Julius!


Mein Fazit

Das Buch für die Térraba herzustellen war eine ganz neue Erfahrung für mich. Es hat viel Spaß gemacht und ich habe so einiges dazugelernt! Das Buchprojekt hat meine Erwartungen an den Freiwilligendienst in Térraba bei weitem übertroffen und ich denke, dass ich damit eine wertvollen Beitrag zur Wahrung der indigenen Kultur der Térraba geleistet habe. Und wer weiß, vielleicht verirrt sich in den nächsten Jahren ja erneut ein Freiwilliger nach Térraba, der das Buchprojekt weiterführen möchte. Das wäre natürlich schön, denn ich konnte bisher nur einen Bruchteil festhalten; unzählige Geschichten fehlen noch.

Am Ende steht für mich fest: Der lange Weg - von der Ideenfindung und Materialsammlung, über die Herstellung und Finanzierung bis hin zur Übergabe des Buches an die Bibliothek - hat sich mehr als gelohnt - für die Térraba, als auch für mich - und so konnte ich das kleine, im Süden Costa-Ricas gelegene, indigenen Dorf Térraba schließlich Ende Mai mit gutem Gewissen und unzähligen neuen Erfahrungen verlassen. Costa Rica und Térraba werden mir immer in schöner Erinnerung bleiben und ich hoffe, dass ich bald einmal dorthin zurückkehren kann.

 


Liebe Grüße,

Arne


endlich wieder in Deutschland angekommen...
endlich wieder in Deutschland angekommen...

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Kommentare: 1
  • #1

    Beate Hoppe (Montag, 09 Juli 2012 00:03)

    Herzlich Willkommen zu Hause, lieber Arne.
    Wir alle sind gespannt auf dich und deine Erzählungen. Wann findest du Zeit für uns?
    Bis bald hoffentlich mit lieben Grüßen
    Beate Hoppe und alle Lehrkräfte und Schüler der LERNHILFE